Während sich Nachbarländer wie Österreich oder die Schweiz ihrer pünktlichen Züge rühmen, stellt die Deutsche Bahn Jahr für Jahr einen Negativrekord nach dem anderen auf. 2017 kamen noch gut 86 Prozent ihrer Züge mit weniger als 15 Minuten Verspätung an. Nun zeigt eine am Freitag veröffentlichte Auswertung des Bundesverkehrsministeriums, das 2022 fast jeder dritte Reisende im Fernverkehr mindestens 15 Minuten später als geplant an seinem oder ihrem Zielort ankam. Im Bahn-Jargon: Die sogenannte Reisendenpünktlichkeit hat erneut abgenommen, nicht zu verwechseln mit den Zugverspätungen an sich.
Dass es in Deutschland so schlecht läuft, liegt unter anderem an der Schiene. Im vergangenen Jahr gab es im Bahnnetz viele Baustellen, Streckensperrungen – die Infrastruktur der Bahn an sich ist marode. Der Bedarf der Menschen wächst, einen zugänglichen öffentlichen Zugverkehr zu haben. Was ebenfalls wächst, ist die Unzufriedenheit über die Unzuverlässigkeit des Konzerns. Das läuft in anderen Ländern Europas besser.
Wissing stellt der Bahn 40 Milliarden Euro zur Verfügung
“Die vielen betroffenen Fahrgäste leiden unter einer Infrastruktur, die eine zunehmende Zahl an Zügen nicht mehr bewältigen kann”, sagt Matthias Gastel, bahnpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag. Gleichzeitig lag der Bund 2022 im europäischen Vergleich weit hinten, was die Pro-Kopf-Investitionen in die Schieneninfrastruktur angeht. Das zeigt eine im Juli veröffentlichte Auswertung von Allianz pro Schiene, einem gemeinnützigen Verkehrsbündnis. 114 Euro gab der Staat pro Person aus, dahinter lagen nur Spanien (67 Euro) und Frankreich (46 Euro). Länder wie Luxemburg (575 Euro pro Kopf), die Schweiz (450 Euro) oder Norwegen (346 Euro) investierten deutlich mehr in ihr Bahnnetz.
Dass dieser Sparkurs die Schienen auf Dauer nur noch maroder macht und damit auch zu mehr Verspätungen der Reisenden führt, scheint auch bei der Bundesregierung angekommen. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) stellte der Bahn am Freitag 40 Milliarden Euro in Aussicht, um bis 2030 hoch belastete Strecken vollständig zu sanieren. Frankfurt-Mannheim beispielsweise, Berlin-Hamburg oder Emmerich-Oberhausen in Nordrhein-Westfalen. Bevor sich das auswirken wird, müssen die Strecken über Monate voll gesperrt werden – bei Zugpassagieren ist also weiterhin Geduld gefragt.
Die Bahn veröffentlicht monatlich, wie viele Halte mit weniger als sechs Minuten Verspätung erreicht wurden (im August 63,4 Prozent im Fernverkehr). Daraus lässt sich aber nicht schließen, wie oft Anschlüsse verpasst wurden oder Züge komplett ausgefallen sind. Die Reisendenpünktlichkeit kommt daher dem tatsächlichen Reisegefühl der Fahrgäste näher, weil auch ein verpasster Anschluss die Statistik beeinflusst. Sie wird ebenfalls von der Bahn erfasst, aber nicht regelmäßig veröffentlicht.
Quellen: Zugfinder, Statista, Deutsche Bahn, ÖBB, Allianz pro Schiene, Trainline, Mit Informationen der Nachrichtenagenturen
Quelle: Stern