Julian Trautwein ging es während der Pandemie, wie vielen anderen – er wollte einfach raus. Raus aus der Großstadt, raus aus dem Hamsterrad. Also hat er gemeinsam mit zwei Freunden angefangen, kleine Cabins mitten in der Natur zu bauen. Ein Gespräch über die Sehnsucht nach Ruhe und die Zukunft des Natururlaubs.
Sie schicken Großstädter mit Ihrem Unternehmen in die Natur – genauer gesagt in spezielle Cabins, die in der Pampa stehen, weit weg vom Großstadttrubel. Camping gibt es schon lange, was ist also neu an Ihrer Idee?
Julian Trautwein: Unsere Cabins sind für mich die perfekte Mischung aus Natur und Komfort. Wenn du campen gehst, hast du meistens wenig Komfort und eine aufwendige Vorbereitung. Wenn du im Hotel schläfst, fehlt es oft an Ruhe, da stehst du am Ende dann doch mit anderen Gästen in der Buffet-Schlange und kriegst von der Natur nicht wirklich viel mit. Bei uns kriegst du das Beste aus beiden Welten.
Klingt ein bisschen nach Glamping…
Nicht unbedingt. Unsere Cabins sind solarbetrieben und verfügen über einen Wassertank mit Filtersystem. Das heißt, jeder Gast hat für seinen Aufenthalt eine begrenzte Ressource. Etwas, das wir aus der Stadt gar nicht mehr kennen. Das kann aber ungemein erden und eine neue Achtsamkeit hervorrufen. Wir versuchen also, hohen Komfort minimal invasiv mitten in die Natur zu bringen. Das ist technisch gar nicht so einfach.
Bewusst langweilen in der Natur
Wie funktioniert das Ganze denn konkret?
Um unsere Standorte dezentral betreiben zu können, haben wir im Hintergrund viel Technologie verbaut. Zum Beispiel haben wir viele Elemente aus dem Smart-Home-Bereich. Wir können aus der Ferne die Temperatur und die Luftfeuchtigkeit sowie Batterie- und Wasserstand jeder Cabin messen und mit einer KI die Türen öffnen. Das hilft uns bei der Wartung und dient ultimativ dazu, dem Gast sein Offline-Erlebnis zu ermöglichen. Wir bauen also eine digitale Infrastruktur, damit der Besucher ungestört und komfortabel den Wald oder die Sterne genießen kann. Der Zugang für den gemeinen Großstädter soll dabei so einfach und stresslos wie möglich sein. Das heißt, wir schauen uns den Radius von ein bis zwei Stunden im Umkreis von Großstädten an und suchen dort nach möglichen Stellplätzen für unsere Hütten.
Was suchen die Menschen, die sich in eine Ihrer Cabins einbuchen?
Unsere Gäste kommen vor allem, um einfach mal nichts zu machen oder sich einfach mal bewusst zu langweilen. Sie kommen nicht, um Sightseeing zu machen, sondern um endlich mal ihr Buch zu Ende zu lesen oder den ganzen Tag auf der Couch zu lümmeln. Darauf sind auch unsere Unterkünfte ausgerichtet. Es gibt keine großen Screens, stattdessen aber ein großes Fenster mit Blick in die Natur – sozusagen das Basic-Netflix mit Natur Doku in Echtzeit.
Wie kam es überhaupt dazu, dass drei Großstädter eine regelrechte Ruheoase erschaffen?
Wir haben unser Unternehmen namens “Raus” zu dritt gegründet. Christopher, Johann und ich kennen uns schon länger als 20 Jahre, wir sind zusammen in Hamburg aufgewachsen. Nach der Schule haben wir dann alle erstmal in sehr unterschiedlichen Branchen unsere Karriere gestartet. Und dann hatten wir alle zum ungefähr gleichen Zeitpunkt Schlüsselmomente, die uns dazu gebracht haben, zusammen ein Unternehmen zu gründen.
Die Sehnsucht nach einem Zufluchtsort
Was waren das für Momente?
Christopher ist zum Beispiel eigentlich Banker. Während Corona hat er von einem auf den anderen Tag dann seinen Job gekündigt, weil er sich in der Branche nicht mehr wohlgefühlt hat und stattdessen angefangen, in seinem Garten Tomatenbeete hochzuziehen. Johann hat in der Zeit in der politischen Bubble gearbeitet und stand mehr oder weniger kurz vor dem Burnout. Seine Frau hat ihn dann in ein Tiny House geschleppt, in dem er zwei Tage durchgeschlafen hat. Ich habe in einer Firma gearbeitet, die Fernreisen digitalisiert. Durch Corona gab es große Herausforderungen, wir waren alle in Kurzarbeit. Und dann wurde noch mein erster Sohn geboren. Das war für mich ein Grund, mich auch mit unserem allgemeinen Reiseverhalten und den Auswirkungen zu beschäftigen.
Die Hütten von Julian Trautwein und seinen Mitgründern stehen mittlerweile an 40 Standorten in Deutschland – immer mitten in der Natur.
© StayRaus GmbH
Und dann?
Ich glaube, jeder von uns hat auf seine eigene Art und Weise gemerkt, dass unser Leben in der Stadt zwar total spannend ist, es uns aber allen enorm schwerfällt, wirklich abschalten zu können. Wir brauchten also einen Zufluchtsort für uns. Also haben wir sehr intrinsisch motiviert überlegt, wie der aussehen könnte. Und da wir alle gerne Zeit in der Natur verbracht haben, aber keine Möglichkeiten hatten, das zeitgemäß zu machen, ist die Idee für Raus entstanden.
Also war das Ganze ursprünglich eine private Aktion?
Genau. Wir haben dann erstmal zwei Cabins Häuschen gebaut und sie auf einer Webseite zur Vermietung angeboten, um sie zu finanzieren. Das war im Winter in Brandenburg. Nach zwei Wochen waren wir komplett ausgebucht. Das hat uns gezeigt, dass viele Menschen nach einer solchen Zuflucht suchen.
Wie erklären Sie sich diesen unerwarteten Erfolg?
Keiner von uns ist gelernter Architekt oder Hotelier. Wir haben das alles aus der Gast-Perspektive heraus entworfen und geplant. Vielleicht war das im Nachhinein auch ein bisschen naiv. Aber wir haben uns einfach gefragt, wie wir selbst so ein Erlebnis toll fänden und was wir dafür brauchen. Daraus ist dann die Skizze der ersten Cabin entstanden.
Mehr Verständnis für eine andere Lebenswelten
Mittlerweile haben Sie mehr als 40 Cabins deutschlandweit gebaut. Wie kommen Sie eigentlich an die Grundstücke?
Unsere Partner:innen sind vor allem landwirtschaftliche Betriebe, die uns einen Teil der ungenutzten Landfläche zur Verfügung stellen. Sie profitieren wirtschaftlich davon, dass sie die Fläche vermieten und können gleichzeitig unseren Gästen mit verschiedenen Angeboten ihr Leben etwas näherbringen, wenn sie das möchten. Zum Beispiel können sie über uns auch Produkte und Erzeugnisse aus ihren Hofläden an die Gäste verkaufen, oder Aktivitäten wie Alpaka-Wanderungen oder Hofbesuche anbieten.
Ein Aspekt, den Sie gerne besonders hervorheben. Warum?
Dadurch, dass die Leute sehen, was eigentlich dazu gehört, bis eine Karotte bei uns im City-Supermarkt landet, entsteht vielleicht etwas mehr Verständnis für die andere Lebenswelt. Ein kleiner Beitrag dafür, die Kluft zwischen Stadt und Land zu schließen.
Quelle: Stern