Hose runter oder adiós! Freikörperkultur ist in Katalonien selbstverständlich, nur die Touristen wollen nicht mitziehen. Das wird zunehmend zum Problem. Naturisten wagen nun den Aufstand, um ihre Freiräume zu retten.
Eine einsame Bucht, feiner Sandstrand, klares Wasser – kein Shirt, kein Rock, kein Höschen. Es gibt sie, diese Orte fernab vom Massentourismus, wo Besucher im stillen Einverständnis die Hüllen fallen lassen und nackt unter ihresgleichen sein können. Oder konnten. Denn statt sich weiterhin wie die Ölsardinen an überfüllte Hotspot-Strände zu quetschen, machen sich in Spanien immer mehr Touristen auf die Suche nach ruhigeren Ecken und kapern dabei auch die Naturisten-Idylle. Die Textilschwemme nimmt so überhand, dass Naturalisten in Katalonien gegen die “feindliche Übernahme” jetzt sogar auf die Barrikaden gehen.
Es war einmal eine Zeit der friedlichen Koexistenz. Freikörperkultur ist in Spanien nicht verboten. Nacktsein am Strand geht überall. Gleichzeitig ist es auch überall in Ordnung, Badesachen zu tragen. Die Naturisten zogen es vor, nicht zwischen Massen an Bekleideten ihr Handtuch auszubreiten – auch “um die Leute nicht zu belästigen”, so Segimon Rovira im Gespräch mit “The Guardian”. Er leitet den Naturisten-Verband in Katalonien. Und die wenigen Textilträger, die sich an die FKK-Strände, also solche, die als vornehmlich von Nudisten genutzte Strände beschildert sind, verirrten, passten sich an die örtlichen Begebenheiten an oder gingen wieder. Hose runter oder adiós. Aber der Wind hat sich gedreht. “Jetzt bleiben sie und behalten ihre Badesachen an”, berichtet Rovira. Die Invasion sorgt für Disharmonie. Die Naturisten fühlten sich dadurch zunehmend unwohl. Er bezeichnet das Vorgehen der Bekleideten als “Mangel an Respekt.”
“Mangel an Respekt”: Nicht-Nackte, die auf Nackte starren
Damit meint er nicht nur die Ignoranz, mit welcher viele Touristen die FKK-Beschilderung “übersehen” und dadurch den Naturisten Stück für Stück sichere Seins-Räume abknapsen, sondern auch die Art und Weise wie das passiert. Nicht-Nackte starren Nackte an, kommentieren Körper – auch abfällig, kichern. Frauen würden “in der Regel mehr angestarrt und belästigt”, erzählt Rovira. Die Naturalisten werden zunehmend zum Ziel Schaulustiger. “Wir tun es wegen des Gefühls der Freiheit”, erklärt Rovira den Reiz am Nacktsein. Doch diese Freiheit wackelt. Da viele Besucher ihr Erlebtes auf Social Media posten wollen, dadurch permanent mit dem Smartphone fotografiert werde, wachse auch die Gefahr nackt im Internet zu landen. Das führe dazu, dass sich FKK-Anhänger mehr und mehr zurückzögen. Rovira weiß: “Menschen, die nackt sind, wollen nicht, dass ihre Fotos in den sozialen Medien landen.”
Inzwischen ist die Fehde so weit gediehen, dass sich Naturisten zu wahren Widerstandskämpfern entwickeln, um ihre Freiräume zu schützen. Mit einem Brief haben sie sich an die katalanische Regierung gewandt. Sie hoffen auf ein Treffen, um über die Problematik und mögliche Lösungsansätze zu sprechen. Schließlich gehöre die Freikörperkultur fest zur Kultur der Region, werde seit Jahrzehnten an vielen Stränden der Gegend praktiziert. Nun laufe sie Gefahr, vernichtet zu werden. Es sei sehr schwierig, FKK zu praktizieren, wenn man von bekleideten Menschen umgeben ist, meint Rovira. “Deshalb halten wir es für wichtig, dass es FKK-Räume gibt, in denen die meisten Menschen nackt sind und andere ermutigt werden, es selbst einmal auszuprobieren.”
Freikörperkultur
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Freikörperkultur droht verdrängt zu werden
Um darauf aufmerksam zu machen, wie respektlos und unsensibel sich manche Besucher gegenüber Naturisten verhalten, hat der Naturisten-Verband eine Kampagne gestartet und ein Video mit dem Titel “Das Paradies” veröffentlicht. Es zeigt ein Touristenpaar, das sich an ihrem auserkorenen Strand plötzlich unter Naturisten wiederfindet – statt selbst die Hüllen fallen zu lassen, starren sie auf nackte Haut. Es dauert, doch am Ende werfen auch sie die Badesachen von sich. Mit solchen und ähnlichen Aktionen wollen die Naturisten sensibilisieren und Mut machen, das Nacktsein auszuprobieren und dadurch die Freikörperkultur zu unterstützen, statt sie zu verdrängen. Ob die Regierung das Anliegen unterstützt, wird sich zeigen. Noch habe sie auf den Brief nicht geantwortet.
Quelle: Stern