Kirchen stehen hierzulande nicht unbedingt weit oben auf der Bucketlist. In England wollen allerdings immer mehr Menschen in Kirchen campen. Was es mit dem ungewöhnlichen Reisetrend auf sich hat.
Die Kirche verliert immer mehr an Bedeutung. Im Jahr 2022 gab es in Deutschland so viele Kirchenaustritte – katholisch und evangelisch – wie nie zuvor. In anderen Ländern ist ein ähnlicher Trend zu beobachten. Die Menschen in England wollen allerdings nicht tatenlos zusehen, wie die historischen Kirchen ihres Landes nach und nach ungenutzt verkümmern. Also haben sie sich einen kreativen Lösungsansatz einfallen lassen: Champing. Genauer gesagt: Camping in Kirchengebäuden.
Die britische Churchs Conservation Trust (CCT), die sich um den Schutz von Kirchengebäuden kümmert, hat bereits im Jahr 2016 ein Programm ins Leben gerufen, das genau das ermöglicht. Die kreative Art und Weise der Übernachtung ist aktuell in insgesamt 18 Kirchen landesweit möglich. So können Besucher:innen etwa eine Nacht in der St.-Nikolaus-Kirche in Berden verbringen, die nächtliche Atmosphäre in der St.-Bartholomäus-Kirche in Failand erleben oder ihr Zeltlager in der St.-Leonards-Kirche in Old Langho aufschlagen.
Kirche als Freizeiteinrichtung
Was auf den ersten Blick nach einer Schnapsidee klingt, kommt bei den Briten enorm gut an. Laut einem aktuellen Bericht des schriftlichen “Telegraph” ist der Andrang so hoch, dass in den nächsten Monaten noch zwölf weitere Kirchen in das Angebot aufgenommen werden sollen. Das Blatt zitiert aus Unterlagen der Kirchen-Organisation, dass es im vergangenen Jahr 600 Buchungen gegeben habe, die zu Nettoeinnahmen von rund 86.000 Pfund , umgerechnet knapp 97.000 Euro, geführt hätten.
Um Geld geht es der Kirche allerdings nicht wirklich. Beispielsweise soll Champing dazu beitragen, dass die Kirchengebäude einen Nutzwert haben. „Es ist eine weitere Möglichkeit, den Menschen zu erlauben, diese historischen Gebäude zu genießen, sie zu erkunden und dabei auch ein bisschen Spaß zu haben“, sagt Pfarrer Canon Timothy Goode im Gespräch mit dem „Telegraph“. Viele Kirchengemeinden würden bereits seit Jahren Yogakurse und andere Freizeitaktivitäten in den religiösen Räumen anbieten.
Champing: Kirchen-Werbung oder Reisetrend?
Aber zur Wahrheit gehört ebenfalls: Es geht auch um das angeschlagene Bild der Kirche in Großbritannien. Inzwischen machen Christen weniger als die Hälfte der Briten aus, Tendenz sinkend. Eine Reform der klassischen Kirche ist auch dringend notwendig. Das weiß auch Pfarrer Goode. Er setzt deshalb große Hoffnung in den Champing-Boom, wie er dem „Telegraph“ erläutert: „Es könnte sein, dass durch die Umnutzung der Kirchen auch eine neue christliche Gemeinschaft entsteht.“
Also ist der Trend am Ende doch nur cleveres Kirchenmarketing? Nicht unbedingt. Die Organisation knüpft die Buchung an Voraussetzungen ohnehin wie zum Beispiel eine bestimmte Religiosität oder ähnliches. Es ist auch eine gute Möglichkeit für ein besonderes Übernachtungserlebnis.
Chana James, eine Sprecherin des CCT, wird vom “Telegraph” wie folgt zitiert: “Champing ist eine einzigartige Möglichkeit, ein historisches Gebäude zu erleben. Viele unserer Stätten sind Hunderte von Jahren alt, und die Gäste haben diesen antiken Ort für eine Nacht ganz für sich allein.” Komplett alleine sind die Gäste dabei allerdings oft nicht – es werden je nach Location bis zu zehn Schlafplätze angeboten – aber in so einer Kirche ist ja reichlich Platz.
Quelle: Stern