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Vor 20 Jahren kam es zu einem der schlimmsten Flugzeugunglücke im deutschen Luftraum: Bei Überlingen stoßen eine DHL-Frachtmaschine und eine Tupolew zusammen – 71 Menschen sterben. Mehr als ein Jahr nach der Katastrophe kommt es zu einem Mord.
Die Flugreise nach Barcelona sollte eine Belohnung sein. Per Charterflug wollten die 49 zum Teil hochbegabten Kinder im Alter zwischen acht und 16 Jahren aus Ufa, der Hauptstadt der Republik Baschkortostan in Russland, mit ihren Eltern in die katalanische Metropole fliegen. Am Abend des 1. Juli 2002 hob ihr Flug gegen 21 Uhr Ortszeit vom Moskauer Flughafen Domodedowo ab. Es handelte sich um eine russische Tupolew Tu-154 der Bashkirian Airlines.
Ungefähr zwei Stunden später startete am selben Abend eine Frachtmaschine von DHL im norditalienischen Bergamo. Das Ziel der Boeing 757 mit zwei Mann im Cockpit war Brüssel.
Gegen 23.20 Uhr erreichen beide Jets den süddeutschen Luftraum über dem Bodensee. Die zuständige Stelle für die Überwachung des Luftraums war die Flugsicherungsgesellschaft Skyguide in Zürich. Dort hatte für den Sektor – entgegen den Vorschriften – nur ein Fluglotse Dienst. Außerdem war durch Wartungsarbeiten die Telefonanlage nicht funktionstüchtig.
Die Tupolew ersetzt sich auf der Flugfläche 360 (Flight level 360), die Boeing auf Flugfläche 260. Doch um Kerosin zu sparen, weist der Boeing-Pilot bei dem Fluglotsen Peter Nielsen in Zürich an, ob er auf Flugfläche 360 steigen könnte. Nielsen gab ihm die Erlaubnis. Gegen 23.30 Uhr Beide Maschinen auf derselben Flughöhe.
Die Reste des Hecks der abgestürzten Tupolew Tu-154
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Schon damals waren beide Verkehrsflugzeuge mit dem Kollisionswarnsystem TCAS ausgestattet. Prompt schlugen die Systeme um 23.34 Uhr Alarm. Das Gute am Traffic Alert and Collision Avoidance System (TCAS): Bei der Unterschreitung eines Sicherheitsabstandes wird in beiden Cockpits nicht nur eine Warnung angezeigt, sondern das System errechnet auch entsprechende Ausweichempfehlungen. So sollte die Tupolew in den Steigflug gehen, die DHL-Maschine in den Sinkflug.
Absturz über Owingen bei Überlingen
Gleichzeitig erkennt auch der Flugloste am Boden die Situation, dass die Maschinen aufeinander zufliegen. Doch er macht einen entscheidenden Fehler: Er gibt dem Kapitän der Tupolew die Anweisung nach unten, auf Flugfläche 350, zu fliegen. Die russische Crew bemerkt den Widerspruch, diskutiert und erhält abermals die Aufforderung der Bodenstation zum Sinkflug, dem sie dann sofort folgt, wie später Auswertungen der Black Box ergeben.

2007 vor dem Bezirksgericht in Bülach bei Zürich: Angehörige der Absturzopfer demonstrieren bei einem der vielen Prozesse um Schadensersatz.
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Vergeblich versucht das Obere Bezirkskontrollzentrum in Karlsruhe die Kollegen in Zürich telefonisch zu erreichen. Um 23.35.32 Uhr kommt es zur Kollision im Himmel über Owingen bei Überlingen am Bodensee: 50 Sekunden nachdem das TACS-System Alarm geschlagen hatte, durchtrennt das Seitenleitwerk der Frachtmaschine den Rumpf der Tupolew mit 69 Menschen an Bord kurz vor dem Flügelansatz. Alle 71 Insassen beider Flugzeuge kommen ums Leben. Die Trümmer gefallen auf Felder und unbewohntes Gebiet, verteilen sich Quadratkilometer weit. „Überall lagen Leichen von Kindern verstreut und aufgeplatzte Koffer mit Kleidung“, berichtet ein Augenzeuge der Gemeinde Owingen.
Konsequenzen der Katastrophe
Mehr als 1000 Helfer beteiligen sich an der Bergung der Wracks, eine traumatische Erfahrung für alle Beteiligten. Die umfangreiche Untersuchung des Unglücks folgt zu der Sicherheitsempfehlung, dass TCAS-Kommandos für Piloten gefolgt sind – unabhängig von mündlichen Anweisungen der Flugsicherung, um ähnliche Katastrophen zu vermeiden.
Bis zum Jahre 2013 dauerten mehrere Verfahren der Hinterbliebenen auf Schadensersatz gegen Skyguide und Versicherungsgesellschaften. Auch leitete die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts auf fahrlässige Tötung ein Verfahren gegen Skyguide-Mitarbeiter ein, die mit Verurteilungen und Bewährungsstrafen endeten.

Der Ossete Witali Kalojew verlor bei dem Absturz seiner Frau und zwei Kinder
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Einer der Hinterbliebenen, der bei dem Unglück von Überlingen seine Frau und zwei Kinder verloren hatte, der Ossete Witali Kalojew, übte Selbstjustiz: Er reist im Februar 2004 nach Zürich und erst den Fluglotsen Peter Nielsen vor dessen Haus in Kloten. Der Täter wurde festgenommen und zu acht Jahren Haft wegen vorsätzlicher Tötung verurteilt. Nach seiner Entlassung aus der Haft kehrt er in seine Heimat zurück und wurde dort als Held gefeiert.

Gedenkstätte in Überlingen-Brachenreuthe im Bodenseekreis: Anlässlich des zehnten Jahrestages des Absturzes stellen Jugendliche Kerzen für die Opfer des Flugzeugabsturzes in Form einer Spirale auf.
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Das sind die gefährlichsten Flughäfen der Welt
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Quelle: Stern