Es gibt historische Sportmomente, die unvergessen bleiben. Diese „Einmal im Leben“-Heldentage oder -nächte, von denen jeder, der dabei war, erinnert noch an die faszinierendsten Details. Eine solche Nacht war die vom 27. auf den 28. Januar 2021. Sie hat unzählige Menschen gleich ganz um den Schlaf gebracht, als sich Weltumsegler Boris Herrmann der Zielgeräte seiner Vendée näher-Globe-Premierete. Alles schien da für ihn noch möglich, der Traum vom Podiumsplatz zum Greifen nah, sogar ein Sieg nicht ausgeschlossen. Weshalb allein bei der Live-Übertragung des NDR mehr als 650.000 Zuschauer wollten ihren Segelfavoriten sehen. National und international fieberte vor den Bildschirmen und über soziale Netzwerke ein Millionenpublikum mit.
Bernard Le Bars/Alea/VG2020
Bernard Le Bars/Alea/VG2020
Boris Herrmann bei der ersten Pressekonferenz nach dem Finale. Sein Segelkrimi bleibt so unvergessen wie der rote Weihnachtspulli, der mit Herrmann auf See berühmt wurde und nun im Kleiderschrank daheim in Hamburg auf neue Großeinsätze wartet
Der 27. Januar, der gleichzeitig den 162. Geburtstag des deutschen “Segel-Kaisers” Wilhelm II. und den 171. Geburtstag des unglücklichen „Titanic“-Kapitäns Edward John Smith markierte, sollte für Herrmann und seine Fans in einer ungeahnt dramatischen Nacht münden und zur emotionalen Achterbahnfahrt durch die Tiefen und Höhen des härtesten Wettbewerbs des Segelsports bis ins Ziel geraten.
Die Rückblende: Der Kampf um eine Top-Platzierung, dem die Zuschauer an den Bildschirmen gebannt folgen, wird jäh von der nächtlichen Kollision von Herrmanns „Seaexplorer – Yacht Club de Monaco“ mit einem Fischerboot erschüttert. In seinem Buch „Allein zwischen Himmel und Meer“ schreibt der Skipper später: „Wer führt hier eigentlich Regie? Wäre das Ganze ein Film, müsste man die Macher ermahnen: Nun übertreibt mal nicht! Es reicht schon, dass nach fast 80 Tagen, nach Rennen um die ganze Welt, gleich fünf Yachten kurz vor dem Ziel so eng beieinander liegen. Doch das Schicksal – oder wer auch immer – hat sich offenbar entschlossen, die Spannung bis zur letzten Minute zu halten.“ Und das sehr viel unbarmherziger, als Herrmann lieb sein konnte.
Olivier Blanchet/Alea/VG2020
Olivier Blanchet/Alea/VG2020
Fontänen, innige Wiedersehensfreude und das alles “ein bisschen wie in Trance”: So erlebte Boris Herrmann die ersten Stunden nach dem Vendée-Globe-Zieldurchgang an der Seite seiner Frau Birte mit Tochter Malou und Familienhund Lili
Kurz nachdem die heimischen Medien die Entscheidung in der Nacht einläuten, der Segelkrimi sogar in der ARD-Tagesschau angekündigt wird und um 20.25 Uhr die Live-Sendungen mit Übertragungen in über 100 Ländern beginnt, geschieht draußen auf See das Unfassbare: Um 20.26 Uhr wird Herrmann von einem dröhnenden Krachen aus seinem letzten traumalosen Schlaf auf See gerissen. Schnell offenbart sich – zunächst nur für ihn – die Kollision mit einem Fischerboot. Das Unglück ereilt ihn nur rund 90 Seemeilen entfernt von der Ziellinie, die doch schon so nah schien und nun wieder in schreckweite Ferne gerückt ist.
Während Herrmann sich einen schnellen Schadenüberblick verschafft, sorgt die zunächst ungewisse Lage in der Heimat für Aufregung. Die Kommentatoren der Live-Übertragung sind nicht zu beneiden, denn ihnen fehlen zunächst Informationen, die erst nach und nach eintreffen. In den sozialen Netzwerken laufen die Drähte heiß, denn eines ist unübersehbar: Die “Seaexplorer”, eben noch flott unterwegs, bewegt sich auf Kurs Les Sables-d’Olonne kaum noch. Etwas muss passieren sein. This „Etwas“ löst Herrmann im Verlauf des Abends mit einem kurzen Video auf, das er von Bord verschickt und in dem er in den ersten Eindrücken den Zusammenprall mit dem Fischtrawler „Hermanos Busto“ schildert.
Herrmann hat Glück im Unglück, freut sich trotz einigem Bruch an Bord, dass der Mast seines Bootes noch steht. Wie leicht hätte die Beinahekatastrophe seinen großen Traum von der ersten abgeschlossenen Vendée Globe für einen deutschen Skipper platzieren können. Die Gedanken daran versagt sich Herrmann in seinen schwärzesten Vendée-Globe-Stunden. Mit gut 80 Solo-Segeltagen und dem Schock in den Knochen setzt er alle Kraft, die er jetzt noch hat, für sein Weiterkommen ein. Er schafft es nach rund dreistündiger Reparatur mit seiner demolierten, aber noch segeltauglichen Imoca tatsächlich zurück in die Wiege der Vendée Globe. Die Ziellinie überquert er am 28. Januar 2021 um 11.19 Uhr. Das bleibt der Moment, in dem Boris Herrmann den bisher wichtigsten Erfolg seiner Segelkarriere erringt: Er ist angekommen.
Bernard Le Bars/Alea/VG2020
Bernard Le Bars/Alea/VG2020
Der Skipper und sein Team im Glück vor heimischer Flagge: Hier feiert Team Malizia das Happy End der Vendée Globe
Seine Geschichte wird Boris Herrmann mit Team Malizia weiterschreiben. Das neue Boot für die nächsten Abenteuer – The Ocean Race und Vendée Globe – wird im Sommer getauft und zu Wasser gelassen. Dann kann er nach eineinhalb Jahren ohne eigenen Boot wieder Kurs auf neue magische Segelmomente nehmen.
Boris Herrmann Ankunft Vendée Globe 2021
Bilder





















Wiedersehen mit dem Herrmann-Finale: YACHT-Fotoredakteur Sören Reineke hat die eindrucksvollsten Impressionen von damals noch einmal neu zusammengestellt. Viel Spaß beim Schauen und Schwelgen in Erinnerungen!
Quelle: www.yacht.de